Interview mit Kristina Gehrmann

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Interview mit Kristina Gehrmann

04.04.2017 | 2017 | Interview | IO-News | Personen und Meinungen

Vor Kurzem ist der letzte Band deiner Graphic Novel-Trilogie herausgekommen, „Im Eisland“ – und sofort fragt man sich: Wie bist du zum Illustrieren gekommen?

So wie die meisten von uns habe ich früh angefangen und nie aufgehört mit dem Zeichnen und mir war schon sehr bald  klar, dass das Zeichnen mein Beruf werden muss. Auf Grund meiner Hörbehinderung ist es so, dass ich viele „einfache“ Berufe nicht oder nur begrenzt ausüben kann – kein Callcentern, kein Kellnern, kein Kinokartenverkaufen … und eine selbstständige Tätigkeit ist heutzutage glücklicherweise auch ohne Telefon möglich. Also habe ich alles auf eine Karte gesetzt und überhaupt nichts anderes gelernt als Zeichnen. Ein paar frühe Vorbilder haben mich in der Wahl bestärkt, z.B. habe ich 2003 zum allerersten Mal einen professionellen Illustrator kennen gelernt. Das war David Norman aus Meerbusch. Dort bin ich aufgewachsen. Ich war 14 Jahre alt und habe gemerkt: 1) Leute mit super-krassen Zeichner-Skills gibt es nicht nur im Internet, und 2) Man kann vom Zeichnen leben, wenn man sehr gut darin ist.

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Im Eisland - Hinstorff Verlag 2016
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Du hast an besonderen Schulen, auch im Ausland studiert. Wo denn genau, und warum ausgerechnet klassische Malerei?

Mir war klar, dass ich die erwähnten super-krassen Zeichner-Skills brauchte, wenn ich mich als Illustratorin selbstständig machen wollte. Außerdem mochte ich den realistischen Zeichenstil und die „alten Meister“ von Anfang an sehr. Comics, Konzeptuales und Abstrahiertes lagen mir nicht, bzw. glaubte ich, sie ohne ein solides Fundament aus realistischem Zeichnen nicht vollständig erfassen zu können. Deswegen habe ich mich für klassisch-akademische Malerei entschieden. Dafür musste ich ins Ausland, denn eine solche Ausbildung gab es damals in Deutschland nicht. Ich habe mich pragmatisch für Florenz entschieden, weil es näher lag als die USA und billiger war als London; und bin direkt nach meinem Abitur 2008 dorthin gezogen. 2011 habe ich mein Studium der klassisch-akademischen Zeichnung und Malerei in Florenz abgeschlossen.

Danach hatte ich die Wahl, weiter zu studieren und fand Illustration als Studiengang interessant. Noch 2011 habe ich mich an einer privaten Akademie für Illustration in Hamburg beworben und wurde angenommen. Allerdings war ich mit dem Unterricht nicht zufrieden, denn meiner Meinung nach war er zu oberflächlich, mit zu viel Emphasis auf „Stil“ (was hieß, dass die Schule auf eine Art zu zeichnen insistierte, die sie für modisch hielt), und zu wenig Fokus auf den zeichnerischen Grundlagen. Dieses Studium habe ich 2012 abgebrochen und mich als Illustratorin selbstständig gemacht.

Einen, ja man kann beinahe sagen: den Schwerpunkt Deiner Arbeit legst du auf Historisches. Was hat es damit auf sich? Gehst du viel in Museen, liest du historische Romane, stelllst du dir die Welt in anderen Zeiten vor? Oder hast du ein dunkles Geheimnis …?

Ich erzähle in und mit meinen Bildern gern Geschichten; und die historische Geschichte hat es so an sich, dass in ihr jedes Drama schon einmal vorgekommen ist. Und zwar weit vielfältiger und komplexer, als Shakespeare oder jede/r zeitgenössische/r Fernsehserien-Autor/in es sich ausdenken könnte!

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Hansestadthafen

2013 begann die Arbeit am ersten Band von „Im Eisland“. Ausgerechnet Eisland! Brrrr …. Interessierst du dich für Ewiges Eis?

Ich bin 2012 beim Stöbern in Wikipedia auf die Geschichte der verschollenen Franklin-Expedition gestoßen und fand sie faszinierend. Nachdem ich den Roman „Terror“ von Dan Simmons gelesen habe, der ebenfalls diese Geschichte erzählt (nur mit Fantasy-Elementen), habe ich erstmal ein paar Bilder als „Fanart“ zu dem Thema gezeichnet.
Normalerweise, wenn ich ein Thema faszinierend finde, reicht es, wenn ich mich in ein paar Illustrationen dazu austobe. Aber hier hat das nicht gereicht. Ich wollte die komplette Geschichte erzählen. Anfangs hatte ich mich sogar selber davon abgehalten. Ich hatte ja kaum Erfahrung mit dem Comiczeichnen, und überhaupt wäre das Projekt viel zu groß für einen Anfänger wie mich, dachte ich. Aber die Motivation war stärker. Die Geschichte musste raus! Außerdem hatte ich Ersparnisse für einige Monate, von denen ich leben konnte, während ich zeichnete. Also sagte ich mir, mach doch erstmal nur einen Comicband, und dann kannst du ja sehen, ob das funktioniert. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Ein ausgezeichneter „Motivationsschubs“! Und wie verlief dann die Zusammenarbeit mit dem Verlag?

Ich bin mit der Zusammenarbeit insgesamt sehr zufrieden. Es kommt nicht oft vor, dass das eigene Buch (bzw. der allererste Comic) so intensiv beworben wird. Hinstorff ist kein großer Verlag, aber alteingesessen und absolut professionell, und sie legen sich sehr ins Zeug! 🙂
Vorgaben gab es keine, Freiheiten so gut wie alle – wie bei Schriftstellern eben, die auch erst ihr Buch fertig schreiben, bevor sie einen Verlag suchen. Die Bezahlung ist vergleichbar der bei Kinderbüchern – Vorschuss und Absatzhonorar vom Nettoladenpreis – bzw. ist sie etwas höher, da ich mir ja nichts mit einem Autor teilen muss.

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Der NDR hat gleich zwei kurzen Dokumentationen über dich und deine Arbeit an „Im Eisland“ gedreht …

Ein Team vom NDR hat beide Male einen ganzen Tag mit Filmen in Hamburg und am Meeresstrand verbracht, und ich den ganzen Tag mit Reden. So viel rede ich normalerweise in zwei Wochen nicht …  Ein Sender braucht ja sehr viel Material, um eine Auswahl der Filmsequenzen zu treffen. Kurz, es war ein richtiges Abenteuer. Ich würde es  sofort wieder tun, denn es hat viel Spaß gemacht und hatte einen tollen Werbeeffekt für „Im Eisland“!
Anschauen kann man den einen der Filme (dieser gefällt mir am besten) hier: http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/nordtour/Graphic-Novel-Im-Eisland.nordtour9066.html

Wie gehst du bei deiner Arbeit an der Graphic Novel vor? Wie recherchierst du?

Für Comics wie „Im Eisland“ mache ich zuerst eine Art Drehbuch mit Bleistiftskizzen und Text, also einen Entwurf, was passiert und wer was sagt. Dann skizziere ich alle Seiten, also den kompletten Comic am Computer mit einem Grafiktablett im Programm Manga Studio, das sieht dann aus wie grobe Bleistiftzeichnungen. So kann ich schon mal alles durchlesen, um zu sehen, ob es funktioniert. Oft korrigiere ich etwas, oder entferne Seiten, oder füge neue Seiten hinzu. Ich benutze viele historische Bilder, Karten, etc. als Quellen und Referenzen, außerdem 3D-Modelle.

Wenn ich soweit zufrieden bin, tusche ich die Seiten, ebenfalls am Computer, mit Linien und schwarzen Flächen. Erst ganz zum Schluß kommen die Grautöne und Texturen. Meine „normalen“ farbigen Illustrationen male ich in Photoshop, ebenfalls mit Skizzen zur Vorbereitung, Quellen und Referenzen, etc.

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Hast du Lieblingskünstler, bzw. künstlerische Vorbilder? Während unseres Gesprächs hast du mir sehr viele tolle Bücher vorgelegt …

Ich liebe die Mangas über Nero, Jeanne d’Arc und Jesus von Yoshikazu Yasuhiko, die unverständlicherweise nicht auf Deutsch oder Englisch erschienen sind (ich besitze die italienischen Ausgaben). Große Vorbilder sind Kengo Hanazawa (I am a Hero),  Makoto Yukimura (Vinland Saga), Naoki Urasawa (Monster, 20th Century Boys) und Junji Ito (Uzumaki, Gyo) – alles unglaublich versierte Zeichner, die im Horror- und Historien-Genre unglaublich epische Geschichten erzählen. Ihre Techniken versuche ich mir gezielt abzugucken. Natürlich mag ich auch die „alten Meister“, die meine allerersten Vorbilder waren und es bis heute sind! Darunter J. M. William Turner, Rosa Bonheur, Rembrandt, Frans Hals, Millais, Sargent, Norman Rockwell und andere.

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Zeichnen als Beruf, Buchcover - Kristina Gehrmann

Wie verläuft dein normaler Arbeitstag, wieviele Stunden am Tag arbeitest du in etwa? Und: Unterrichtest Du auch?

Ganz „normal“ arbeite ich sechs bis acht Stunden täglich, wie die meisten Selbstständigen. Natürlich ist nicht alles davon Zeichnen; ich muss auch E-Mails schreiben, Rechnungen schreiben, Papierkram einsortieren, Werbung für meine Sachen machen … Unterrichtet habe ich bisher noch nicht. Für mich wäre das schwieriger als Zeichnen, denn es erfordert ja Hören und Sprechen. Solange ich die Wahl habe und zeichnen und schweigen kann …  Eigentlich erzähle ich sehr gern über meine Arbeit und erkläre, wie ich dies und das mache, aber es professionell zu tun, wäre mir etwas zu anstrengend.

Glücklicherweise kannst du ja nicht nur zeichnen, sondern auch wunderbar schreiben und Tipps geben.

Schreiben fällt mir einfach leicht. Deswegen habe ich 2016 das Buch „Zeichnen als Beruf“ im Eigenverlag veröffentlicht. Es ist als Druckversion und E-Book unter www.zeichnenalsberuf.de erhältlich „Zeichnen als Beruf“ ist der Ratgeber, den ich vor zehn Jahren als frischgebackene Illustratorin selbst dringend gebraucht hätte. Damals hatte ich Schwierigkeiten, das entsprechende Grundlagenwissen zu finden, und im Studium erfährt man immer noch viel zu wenig darüber.

Das Buch richtet sich an alle jungen Leute im deutschsprachigen Raum, die professionelle Illustratoren und Comic- beziehungsweise Mangazeichner werden wollen, oder noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Aber auch „alte Hasen“ haben schon den einen oder anderen Tipp daraus mitgenommen.

Kristina Gehrmanns IO-Portfolio

www.kristinagehrmann.com
http://zeichnenalsberuf.de/

Alle Fotos und Bilder zum Interview: Kristina Gehrmann

Das Gespräch führte Dorothée Boehlke für die Illustratoren Organisation e.V.