“Auf der Kippe” – ein Essay von Jürgen Gawron im IU Mag #4

“Auf der Kippe” – ein Essay von Jürgen Gawron im IU Mag #4

06.09.2022 | 2022 | IO-News | Stellungnahme der IO
Alle lieben starke, intelligente, berührende und pointierte Bilder. Verlagswesen, Medien, Unternehmen und Bildungssektor können nicht ohne. Dennoch sitzen Illustrator:innen in Verhandlungen am kürzeren Hebel und haben Schwierigkeiten, wirtschaftlich die Füße auf den Boden zu kriegen. Wer seine Rechte einfordert, darf oft nicht mehr mitspielen. Es ist Zeit, den Spielplatz zurückzuerobern, meint der Illustrator Jürgen Gawron in seinem Essay.

IU Mag der Initiative Urheberrecht, Ausgabe #4 “Bild”,  September 2022

Auf der Kippe

Alle lieben starke, intelligente, berührende und pointierte Bilder.
Verlagswesen, Medien, Unternehmen und Bildungssektor können nicht ohne. Dennoch sitzen Illustrator:innen in Verhandlungen grundsätzlich am kürzeren Hebel und haben Schwierigkeiten, wirtschaftlich die Füße auf den Boden zu kriegen. Wer seine Rechte einfordert, darf oft nicht mehr mitspielen. Es ist Zeit, den Spielplatz zurück zu erobern, meint der Illustrator Jürgen Gawron.

Ich startete in meine Selbständigkeit als Illustrator wie ein Kind, das auf den Spielplatz läuft, voller Erwartung und Vorfreude. Illustration ist überall, ist elementarer Beitrag zu Kultur und Gesellschaft. Wir Illustrator:innen bebildern die Welt, in der wir leben.

Mit Linien, Farbe und Formen formulieren und übersetzen wir Aussagen in eine universal verständliche Sprache, die erzählt, ergründet und erklärt.

Als Bildautor:innen schaffen wir narrative Kontex- te und visualisieren darin reale wie fantastische Welten. Aufgrund der kommunikativen Kraft von Illustration ist sie eine der ältesten Kulturtechniken der Menschheit und bis heute schöpferischer Ausdruck des kreativen Geistes.

Das Erlernen der notwendigen Fähigkeiten – vom rein Handwerklichen wie dem Umgang mit Farbe und Flächen bis zur Ausbildung der narrativen Möglichkeiten – ist eine Lebensaufgabe, vergleichbar mit dem Streben nach Meisterschaft im Beherrschen eines Musikinstruments.

Aber es ist eine schöne und erfüllende Aufgabe, weshalb so viele Illustrator:innen in diesem Tun voll und ganz aufgehen.nWer will uns verdenken, dass wir voll Freude auf unseren Spielplatz gehen und dort erwartungsvoll auf die Wippe klettern? Da sitzen wir selbstbewusst und strahlen. Bis ein zweites Kind auftaucht, uns in die Luft zwingt und deutlich macht, dass unsere romantische Vorstellung stundenlangen Wippens heute leider nicht wahr wird. Offenbar sind die physikalischen Kräfte nicht im Gleichgewicht.

Wie kann das sein?

Bei Illustrationen wird gern der Rotstift angesetzt.
Illustration ist selten Selbstzweck, sie definiert sich weitestgehend über die kommerziellen Verwertungsmöglichkeiten. Die rechtlichen Bedingungen für diese Verwertung sind im Urheberrecht eindeutig definiert. Es manifestiert die besondere Rolle von uns Urheber:innen und unseren Werken, schützt diese vor Entstellung oder Missbrauch und schafft durch die Regelung zur Werknutzung die Grundlage für unseren Einkommenserwerb.

Wir räumen Nutzungsrechte ein und erhalten dafür Honorare. Dabei ermöglicht das Urheberrecht eine detaillierte und flexible Ausgestaltung genehmigter Werknutzungen – so sollen die Bedürfnisse von Urhebenden und Nutzenden gleichermaßen berücksichtigt werden.

Es ist dieses Regelwerk, das ein faires und ausgeglichenes Miteinander aller Kinder auf unserem Spielplatz sicherstellt. Doch ähnlich den Eltern, die Sorge tragen, dass am Ende des Tages alle gesund und glücklich nach Hause kommen, kann das Urheberrecht offenbar nicht alles im Blick behalten, nicht alles berücksichtigen.

Schnell geraten vor allem die strukturellen Bedingungen unseres Berufes aus dem Blick: Für
den überwiegenden Teil der Illustrator:innen ist der Einkommenserwerb nur auf selbstständiger Basis im Freiberuf realistisch.

Diese somit fast zwangsläufige Selbständigkeit wiederum stellt uns vor Herausforderungen, die weit über die künstlerischen Fähigkeiten hinaus gehen.

Einige davon sind bloße Verwaltungsaufgaben, die auch die kleinstmögliche Form der Unternehmung mit sich bringen: Um Absicherung, Steuerangelegenheiten, Buchhaltung oder Büroausstattung kann man sich sorgen, dem aber auch gleichmütig begegnen. Andere Aspekte hingegen haben enormen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg und sind dabei wesentlich schwieriger zu meistern: Auftreten, Verhandlungsgeschick, Akquisefähigkeit, Kommunikation. Diese Business-Skills haben großen Einfluss auf das Wohl und Wehe unserer Unternehmung.

Alle wollen starke Bilder, aber bezahlen…?

Man kann künstlerisch illustrativ weit vorne sein. Doch ohne die Fähigkeit, den Markt für diese Leistungen zu finden und zu erschließen, wird kein Beruf daraus. Auf dem Markt erwarten uns die potenziellen Verwerter unserer Leistungen. Auf die Treffen mit ihnen kommt es an: In ihnen kommen die bereits erwähnten drastisch unterschiedlichen Kräfteverhältnisse zum Tragen. Wir begegnen der großen Mehrheit unserer Auftraggeber in mehrerer Hinsicht nicht auf Augenhöhe, was sich ganz konkret auf Auftragsbedingungen und Honorarhöhen auswirkt.

Als Einzelunternehmer, deren Kernqualifikation und Stolz in der Fähigkeit liegt, sich mit Bildern auszudrücken, treffen wir hier auf Menschen, deren Beruf es ist, Projekte kaufmännisch zu verhandeln, und die sich jederzeit auf die Hilfe von Kolleg:innen, Vorgesetzten oder ganzen Rechtsabteilungen verlassen können.

Unsere Verwerter bringen, zumindest in dem hier bemühten Bild, deutlich mehr Gewicht auf ihr Ende der Wippe und lassen uns auf dem sprichwörtlich kürzeren Hebel sitzen.
Im Verlagswesen ist es zum Beispiel recht üblich, vor Projektanbahnungen Illustrator:innen seitenstarke Vertragsentwürfe vorzulegen, die nicht selten ganze Kataloge an Maximalforderungen enthalten. Der Umfang der Verträge steht dabei oft in keinem Verhältnis zum in Aussicht stehenden Honorar, was eine sorgfältige Prüfung und das Formulieren von Änderungswünschen schnell unwirtschaftlich macht. Ein Hinzuziehen externer juristischer Unterstützung steht meist völlig außer Frage. Man verhandelt also selbst und muss im Streit um zahlreiche Details sorgsam auswählen, wel- che man priorisieren möchte. Eine substanzielle Änderung wird oft genug mit dem Verweis auf mangelnde Befugnisse ausgeschlossen, der Zugang zu den befugteren Hierarchie-Ebenen bleibt versperrt.

In der Folge sind Änderungen nur marginal verhandelbar, die Vertragsfreiheit beschränkt sich im Kern dann auf die schale Freiheit, eben keinen Vertrag abzuschließen.
Sogar die grundsätzliche Wertschätzung, die uns Illustrierenden entgegengebracht
wird, kehrt sich zuweilen in Geringschätzung um. Sichtbar wird das etwa im Mangel an Problembewusstsein, wenn zu niedrig angesetzte Honorare nur qualitativ anspruchslose Ergebnisse zulassen. Oder auch wenn Illustration selbst von kulturaffinen Menschen zum verzichtbaren Beiwerk degradiert wird.

Kürzlich beschränkte eine Preisverleihung für Erstlesebücher Ehrung und Preisgeld auf die Textautor:innen. Die Illustrator:innen, ohne deren Beitrag diese Bücher weder vermittelbar noch denkbar sind, blieben ausgespart. Sie wurden nicht einmal persönlich über die Auszeichnung informiert, was die fehlende Anerkennung auf unangenehmste Weise belegt.Mit einem „schwierigen“ Kind will niemand mehr spielen.

Natürlich haben wir Selbständige letztlich die Freiheit, Nein zu sagen. Wir können uns dem Spiel jederzeit entziehen und einfach von der Wippe springen, wenn unser Gegenüber nicht mitspielen möchte oder seine Position allzu sichtbar auskostet.

Keiner zwingt uns, ungünstige Bedingungen oder Umstände einfach zu akzeptieren. Mit dem Blick auf überschaubare Märkte und die durch- aus anspruchsvolle Konkurrenzsituation bleibt dies jedoch oft nur graue Theorie. Der wirtschaftliche Druck ist groß und die Relevanz, als angenehmer Geschäftspartner zu erscheinen, enorm. Der Grat ist schmal, auf dessen Seiten sich die Attribute „beliebt“ und „schwierig“ gegenüber liegen. Es kann sich jahrelang auswirken, auf welcher Seite einen die Menschen am anderen Ende des Telefons verorten.

Zusammenfassend: Wir sind auf unserem Spielplatz Leichtgewichte. Wir agieren aus verschiedenen Gründen aus einer Position der Schwäche:

Die wirtschaftliche Lage: Wir gründen unsere Unternehmen meist ohne nennenswertes Startkapital. Es kommt dann aber auch selten Kapital hinzu: Nur ein Zehntel aller erwerbsmäßigen Illustrator:innen erreicht ein Jahreseinkommen von über 48.000 EUR. Nur etwas weniger als ein Drittel aller Illustrierenden kann allein auf Basis des Einkommens den Lebensunterhalt für die Familie bestreiten. Da ist einem der Spatz in der Hand oft näher als die Taube auf dem Dach: Finanzieller Druck verhindert selbstbewusstes Verhandeln, diesem Teufelskreis ist schwer zu entkommen.

Die Akzeptanz: Dem Urheberrecht zufolge haben Verwerter die Einräumung von Nutzungsrechten angemessen zu vergüten. Entgegen dieser eindeutigen Gesetzeslage werden Illustrierende regelmäßig mit der Forderung nach unentgeltlicher Einräumung von Nutzungsrechten konfrontiert.

Die Wertschätzung: Im Land der Ingenieure, das technische Notwendigkeit heiligt und zu Geistigem und Schönem oft ein gespaltenes Verhältnis offenbart, wird letzteres einfach offensiver hinterfragt, sein Wert aggressiver verhandelt und letztlich sein Honorar gedrückt. Die Wertschöpfung, die unsere Werke generieren, wird oftmals negiert und eine angemessene Beteiligung daran verweigert.

Diese kulturellen, gesellschaftlichen und strukturellen Voraussetzungen beeinträchtigen die gute Ausgangsposition, die uns das Urheberrecht zusichert. Unsere systemischen Schwächen hindern uns daran, die Kraft dieses Werkzeugs ausüben zu können.

Unsere Spielplatzeltern sind an und für sich gut aufgestellt. Aber sie sehen nicht alles – und haben zudem die Verantwortung für alle Kinder, nicht nur für uns. Mal ins Gespräch mit anderen vertieft, mal gar nicht anwesend, können sie uns auch nicht vor jeglicher Gemeinheit bewahren. Mir ist bewusst, dass der selbständige Einkommenserwerb kein all-inclusive-Urlaub ist und es weder Aufgabe noch Absicht des Urheberrechts ist, sämtliche Schwierigkeiten, denen sich Urheber:innen gegenübersehen, aufzufangen. Dazu sind die Einflüsse zu vielfältig.

Nur gemeinsam geben wir unseren Interessen Gewicht

Wir sind von der allgemeinen Entwicklung der Erwerbsarbeit betroffen, spüren wie alle die Etablierung eines Mindestlohnsektors und die Stagnation von Einkommen. Natürlich erleben wir, die wir zu großen Teilen in der Medienbranche arbeiten, die Folgen der Digitalisierung und die damit einhergehenden Veränderungen ganzer Branchen hautnah mit.

Als Einzelunternehmer:innen haben wir aber auch Stärken: Wir sind bestens aufgestellt, um Lösungen und Wege zu finden, unsere Lage aktiv zu verbessern. Unsere Antwort auf die Herausforderungen ist Solidarität und Gemeinschaftssinn. Gemeinsam, im kleinen Kollegenkreis, auf Stammtischen und bundesweit im Berufsverband bündeln wir unsere Kräfte, um uns gegenseitig zu informieren, fortzubilden und damit künstlerisch und unternehmerisch zu wachsen. Gemeinsam ist es uns möglich, die rechtliche Grundlage unserer Arbeit schützen. Mit vereinter Stimme gelingt es uns, dazu beizutragen, diese auszubauen, um die Werkzeuge, die uns zur Verfügung stehen, effektiver einsetzen zu können.

Wir sind zusammen erfolgreicher als allein. Ich muss auf meiner Wippe nur so lange hilflos mit den Füßen strampeln, bis andere Kinder auf meine Seite klettern und wir gemeinsam auch dem schwersten Kind gegenüber die Waage halten können.

Wenn wir dazu noch Sorge tragen, die Aufmerksamkeit unserer Eltern auf die verbliebenen Bullys zu lenken, können wir das Kräfteverhältnis auf dem Spielplatz Stück für Stück ausgleichen und immer öfter harmonisch bis in den Sonnenuntergang zusammen spielen.