Interview mit Roberta Bergmann

Interview mit Roberta Bergmann

22.09.2021 | Interview | IO-News | Rund um Illustration

Roberta Bergmann ist eine deutsche Autorin und Designerin mit den Schwerpunkten Buchgestaltung und Illustration. Außerdem hält sie Vorträge für Gründer aus dem Bereich der Kreativwirtschaft und gibt Workshops. Wir haben mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.

 

Du trittst als Host des Podcasts „Der kreative Flow“ an die Öffentlichkeit und hast dir auch als Netzwerkerin und Buchautorin einen Namen gemacht. Deine ursprünglichen Wurzeln liegen allerdings im Bereich Design und Illustration. Hast du überhaupt noch Zeit, hier tätig zu sein?

Ja, ich versuche mir meine Zeit für die verschiedenen kreativen Tätigkeiten aufzuteilen. Gestaltung kann ich z. B. sehr gut mit meiner publizistischen Tätigkeit für „Der kreative Flow“ verbinden. Dort gibt es immer Inhalte zu gestalten (Workbooks, Cover für Podcastfolgen, Challenges, Onlinekurse, Social-Media-Inhalte etc.). Wenn ich Bücher schreibe, bin ich gegebenenfalls nicht nur Autorin, sondern auch Buchgestalterin und Illustratorin. Das verbinde ich gern. Was ich dagegen kaum noch mache, ist, als freiberufliche Fotografin und Print-Gestalterin zu arbeiten. Das habe ich viele Jahre getan, aber es macht mir von allen Sachen am wenigsten Spaß. Da ich auch noch als freie Künstlerin im eigenen Atelier zeichne und male, bleibt mir die Illustration in jedem Fall erhalten. Allerdings weniger für Auftraggeber:innen, sondern mehr für mich selbst, für freie Projekte wie illustrierte Bücher und Geschichten oder Illustrationskunst.

Der Wandel zur theoretischen Betrachtung von Kreativaspekten – egal ob als Autorin, Dozentin oder Moderatorin – begann eher schleichend. War dies die strategische Entscheidung einer gezielten Umorientierung oder haben sich die Projekte eher zufällig ergeben?

Es begann damit, dass ich 2008 an der Kunsthochschule in Braunschweig anfing zu unterrichten. Teil meiner Arbeit dort war u. a. die theoretische Vermittlung von Gestaltungs- und Kreativwissen. Ich habe dort sechs Jahre in Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Gastprofessorin gelehrt. In dieser Zeit konnte ich viel Material sammeln, das ich für mein erstes Sachbuch „Die Grundlagen des Gestaltens“ verwenden konnte. Beim Arbeiten am ersten Sachbuch habe ich schnell gemerkt, dass ich hier mehrere Vorlieben verbinden konnte (Wissensvermittlung, Buchgestaltung, Publizieren) und deshalb habe ich seit 2016 nicht mehr damit aufgehört zu schreiben. 2019 hatte ich dann den Wunsch, ein Online-Business aufzubauen, was mich unabhängig von Ort und Zeit machen sollte und diese Vorlieben ebenfalls mit einband. So gründete ich „Der kreative Flow“ auf Basis meines zweiten Sachbuchs „Kopf frei für den kreativen Flow“. Das war tatsächlich eine sehr strategische Entscheidung, da ich im Online-Business meine Zukunft sehe. Aus dieser Idee entstehen nun immer mehr kostenpflichtige Produkte, wie Onlinekurse, Masterminds, Workbooks, Hörkurse und einiges mehr. Die kostenfreien Inhalte sind z. B. Social-Media-Challenges, oder ich vermittle mein Wissen im Podcast, im Blog, im YouTube-Kanal und im Club „Der kreative Flow“ bei Clubhouse. Diese Kanäle dienen dazu, neue Kund:innen auf mich aufmerksam zu machen. Seit 2019 etabliere ich mich auch als Kreativ-Expertin und werde für Vorträge und Workshops eingeladen, gebe Interviews in Fachzeitschriften, Podcasts und Blogs.

Zwangsläufig tritt mit dieser neuen Ausrichtung auch die Person in den Vordergrund, während zuvor deine Arbeit im Fokus stand. Was bedeutet dieser Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung? Und wie weit darf die Öffnung ins Private gehen, welche Bereiche sollte man ausklammern?

Es bedeutet einfach, dass ich als Content-Creator in den Vordergrund trete und wahrgenommen werde. So wie ein:e Autor:in, die/der Bücher schreibt oder ein:e Künstler:in, der/die Bilder malt. Auch da interessiert den/die Konsument:in, wer dahinter steckt! Menschen kaufen von Menschen. Wenn ich Content anbiete, interessieren sich viele der Konsument:innen für diesen Inhalt, weil er von mir kommt. Sie wollen wissen, was ich darüber denke.
Wie weit man da persönlich und privat Einblick gewährt, muss jede:r selbst für sich entscheiden. Das schließt gegebenenfalls auch kritische Themen wie Religion, Politik, Gender, sexuelle Orientierung mit ein. Je mehr man von sich preisgibt, umso glaubwürdiger und authentischer ist man (vermeintlich). Die Konsument:innen haben das Gefühl, dich zu kennen und das schafft Vertrauen, um deine Inhalte zu konsumieren und auch zu kaufen. Ich selbst erzähle gern Persönliches, aber nichts Privates. Ich überlege immer, was für mein Business Sinn macht preiszugeben und was nicht. Und damit fühle ich mich wohl.

Dieser Trend zur Selbstdefinition ist als „Personal Branding“ zunehmend bei Kolleg*innen im Kreativbereich zu finden, die sich in einem konkreten Bereich – sei es Diversity, Women, Empowerment etc. – positionieren. Warum scheint dieses Tool der Selbstvermarktung im Markt eine immer größere Rolle einzunehmen? 

Wie schon gesagt, je mehr man sich zeigt, desto mehr Vertrauen gewinnt man beim Publikum. Und „Selbstvermarktung“ gehört meiner Meinung nach mit dazu, wenn man auf Social Media unterwegs ist und etwas zu verkaufen hat. Es heißt ja eben „social“, also „soziales“ Netzwerk. Und das bedeutet, dass wir als Individuen/Persönlichkeiten interagieren. Der Mensch interessiert sich immer für andere Menschen – und für sich selbst. Wenn man also Inhalte auf Social Media postet, werden immer die Bilder/Videos mehr wahrgenommen und konsumiert, in denen wir Menschen sehen, die mit uns interagieren, uns direkt ansprechen oder auch nur anblicken. Wenn man stattdessen Produkte oder Stillleben sieht, werden diese Inhalte weniger geklickt. Facebook hat auf dieser These ein Multimilliarden-Unternehmen aufgebaut.
Ich habe diesen Monat auch eine Podcastfolge zum Thema „Personenmarke werden“ veröffentlicht und den Personal-Brand-Experten Hermann Scherer dazu interviewt. Vielleicht ist das für den einen oder die andere ja noch interessant und unterhaltsam zu hören? Es gibt zum Interview auch noch ein kleines Video in meinem YouTube-Kanal.

Stichwort „Storytelling“: Mit Geschichten um die eigene Person kann Vertrauen aufgebaut und eine Identifikationsmöglichkeit gegeben werden. Wie finde ich als Kreativschaffende*r meine authentische Story, die ausreichendes Potenzial für eine eigenständige Positionierung hat?

Indem man genau beobachtet, wie Konsumenten auf die eigenen Inhalte reagieren. Was gefällt und was nicht? Was bekommt eine hohe Reichweite und Feedback? Da liegt wahrscheinlich die Lösung. Apropos Lösung, es macht immer Sinn, beim Konsumenten ein „Problem“ zu lösen, d. h. sich zu überlegen, wie könnte ich anderen mit meinem kreativen Output helfen? Wo liegen bei meinen potenziellen Kund:innen die Probleme? Suchen sie beispielsweise Illustrationen für ein medizinisches Fachblatt, brauchen sie eine Beschreibung, wie sie bei Instagram mehr Reichweite und Sichtbarkeit bekommen, müssen sie Kunst unterrichten und brauchen Aufgaben für ihr Unterrichtsfach …? Diese Fragen kann man sich stellen, wenn man seine Zielgruppe schon erkannt hat.
Ansonsten kann man auch Menschen im eigenen Umfeld fragen, was sie denken, worin man gut ist, welche Talente man hat und was bewundernswerte Eigenschaften von einem sind oder was sie gern von einem lernen oder haben wollen würden. Auch so ist es möglich, eine eigenständige Positionierung zu finden.
Und ja „Storytelling“ ist wichtig, wenn man weiß, was man anzubieten hat und das Angebot für die potenziellen Kunden veröffentlicht. Dann braucht es eine Story, z. B. eine persönliche Geschichte (die Vertrauen schafft) und auch die richtige Art der Ansprache. Das fängt schon damit an, ob man die Konsument:innen duzt oder siezt. Aber auch, welches Vokabular man verwendet und natürlich was man wie erzählt.

Authentisches Storytelling scheint nur möglich zu sein, wenn man thematisch eine Autorenschaft, also auch Haltung übernimmt. Stimmt das oder genügt es als Auftragskünstler*in auch, einfach nur über seine Arbeit zu reden?

Haltung zu haben und zu vermitteln, ist natürlich immer gut (und besser, als damit hinterm Berg zu halten). Das hat ja auch was mit gegenseitiger Sympathie zu tun, die sich dadurch, genau wie Vertrauen, aufbaut Je mehr die Kund:innen über einen wissen, desto sicherer sind sie, dass sie von der/dem „richtigen“ Kreativen kaufen, dass sie das für sie beste und passendste Ergebnis erhalten.
Man sollte sich aber nicht verstellen. Wenn man kein Storytelling machen will, kein:e große:r Redner:in/Schreiber:in ist, lässt man einfach die eigene Arbeit für sich sprechen und kann gegebenenfalls im persönlichen Kontakt mit dem Interessenten oder der Interessentin noch mehr Infos nachlegen.
Gute Arbeitsbeispiele sprechen auch immer für sich selbst. Aber sie sind eben kein Garant für viele Kund:innen.

Beste Plattform für eine Personenmarke oder Corporate Influencer sind sicher die sozialen Medien. Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um hier noch die notwendige Aufmerksamkeit generieren zu können?

Die beste Möglichkeit ist:
1) Wenn ein soziales Netzwerk neu entsteht, sollte man nicht lange zögern, sondern sich dort einen Account machen, wenn man glaubt, dort könnte die eigene Zielgruppe zu finden sein! Je früher man dabei ist, wenn eine neue Plattform entsteht, desto besser. Davon profitieren aktuell die erfolgreichsten Instagram-Influencer, denn sie waren wahrscheinlich schon 2010/2011 am Start. Das Gleiche gilt für Tiktok. Dort konnten sich viele „no names“ binnen weniger Monate Millionen-Accounts aufbauen, einfach weil sie seit Anfang der App 2016/2017 dabei waren und fleißig Videos posteten.
Weitere Voraussetzungen sind:
2) Regelmäßig posten und online sein. Für jede Plattform gelten da andere Spielregeln, man muss selbst herausfinden, welche Taktung für den eigenen Account gut ist und ein stetiges Wachstum ermöglicht. Je mehr, desto besser. Aber man sollte schauen, was man allein leisten kann und möchte.
3) Interaktion! Es ist ein soziales Netzwerk, das von der Interaktion mit anderen Usern lebt und das auch belohnt (Kommentare, Repostings, Live-Videos …).
4) Neue Tools der sozialen Netzwerke nutzen, bestes Beispiel Instagram: Wird dort ein neues Tool eingeführt, belohnt Instagram die Nutzung des Tools mit zusätzlicher Reichweite. Aktuell haben die Reels am meisten Reichweite, vorher waren es die Storys.
5) Ausprobieren und testen (Taktung, Inhalte, Tools, …) ist immer gut, um herauszufinden, was bei der Zielgruppe ankommt, was Reichweite bringt und ein stetiges Wachstum garantiert.
6) Qualitativ sehr gute Inhalte veröffentlichen, d. h. Bildmaterial, das toll aussieht und Aufsehen erregt; Texte, die gut geschrieben und klar gegliedert sind und keine Fehler enthalten.
7) Aktionen machen, wie z. B. Gewinnspiele, Challenges, Umfragen. Sie generieren mehr Interaktion mit dem Posting und das wird wiederum mit Reichweite belohnt. Ich könnte sicherlich noch einiges mehr aufzählen, aber vielleicht reicht das für den Anfang.

Unterstellen wir einmal, dass ein steigender Bekanntheitsgrad spürbare Auswirkungen auf Kundengewinnung und Honorarniveau hat. Steht dieser Zuwachs noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem sicher zeitintensiven Aufbau der Personenmarke oder liegt der Mehrwert woanders?

Ich fürchte, es ist ein notweniges Übel in der heutigen Zeit mit dem ständigen Zugriff der mobilen Geräte auf die sozialen Medien und digitalen Inhalte. Aus diesem Grund entwickelten sich neue Berufsformen wie Social-Media-Manager, Content-Creator, Influencer und Vermittlungsagenturen für Influencer und die freie Wirtschaft, virtuelle Assistent:innen etc. Wer diesen zeitintensiven Aufbau und die Betreuung seines Online-Contents nicht allein leisten kann, sollte sich meines Erachtens bei den o. g. neuen Berufszweigen Hilfe holen. Der Mehrwert oder sagen wir mal die neue Währung ist Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit – ohne sie wird es schwer, sein Geld zu verdienen, einfach weil die Konkurrenz immer omnipräsent ist.

Und zum Abschluss: Viele Kreative arbeiten eher zurückgenommen und möchten lieber über ihre Arbeit als ihre Person wahrgenommen werden. Was rätst du diesen Kolleg*innen? Ist Personal Branding auch ohne „laute“ Selbstinszenierung möglich?

Ich finde, man sollte sich nicht verstellen, denn das merkt der potenzielle Kunde. Es geht immer auch, ohne „laut“ zu sein. Aber je „lauter“ man ist, desto größer ist auch die Sichtbarkeit und Reichweite, und wahrscheinlich auch der damit verbundene Erfolg.

Mein Tipp: Man kann es einfach mal mit der Selbstvermarktung ausprobieren, über den eigenen Schatten springen und sich für eine gewisse Zeit darauf einlassen, es als Experiment sehen, das auch scheitern darf (dann hat man vielleicht weniger Angst davor). Vielleicht findet man ja sogar heraus, dass es einem Spaß macht und man gern über seine Arbeit, seine Ziele und Visionen redet und in Interaktion geht! Der erste Schritt dafür wäre, seinen Arbeitsalltag zu dokumentieren, Making-ofs der eigenen Arbeit zu erstellen und diese zu veröffentlichen. Und wenn das Experiment nicht gelingt und man merkt, es fühlt sich nicht richtig an, dann hat man es wenigstens versucht und kann diesen Part ja eventuell an eine dritte Person abgeben und weiß, welche Arbeit hier dann zu definieren wäre. Dritte können z. B. sein: eine Illustrationsagentur, ein:e Fürsprecher:in, ein:e Praktkant:in oder eine Assistenz.

Liebe Roberta, wir danken dir ganz herzlich für das interessante und Gespräch und die Einblicke in deine Arbeitswelt.

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