Interview mit Herwig Bitsche

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Foto: Susanna Wengeler

Interview mit Herwig Bitsche

11.05.2022 | 2022 | Interview | IO-News | Rund um Illustration

Herwig Bitsche ist der Geschäftsführer des renommierten Schweizer NordSüd Verlags. Mit uns hat er über Trends und die aktuelle Entwicklung im Kinderbuchmarkt gesprochen.

Von großem Interesse für unsere Mitglieder ist zurzeit die Entwicklung im Kinderbuchmarkt – gerade auch in Bezug auf die leider immer noch anhaltende Pandemielage und die zahlreichen ausgefallenen Buchmessen in den letzten beiden Jahren. Wurde durch die Pandemie vielleicht sogar mehr gelesen?

Es sieht ganz danach aus! Im Vergleich mit anderen Unterhaltungsangeboten hat das Buch erstaunlich gut abgeschnitten. Der Boom der digitalen Bücher ist auf jeden Fall ausgeblieben, Zuwächse hatten vor allem gedruckte Kinderbücher. Ich habe den Eindruck, dass das gedruckte Buch während der Pandemie eine kleine Renaissance erlebt hat.

Wie ist Ihr Ausblick auf die nahe Zukunft, wenn die Branche und wir alle hoffentlich wieder zur Normalität zurückkehren können?

Im Moment sehe ich noch keine Normalität. Mit dem Krieg in der Ukraine stehen wir vor der nächsten Herausforderung. Wir arbeiten in vielen Bereichen immer noch auf relativ kurze Sicht und haben gelernt, flexibel auf Änderungen zu reagieren. Da haben wir in dem ganzen Schlamassel durchaus was gelernt.

Buchhandlungen haben es nicht erst seit Corona schwer. Der Weg zum Leser verändert sich. Wie wichtig sind Social Media und auch das Eigenmarketing der Bild- und Textautor*innen für den Verkauf der Bücher?

Soziale Medien sind eine einfache Form, sich bei einem Kreis von Interessierten bemerkbar zu machen. Aber man muss auch darauf Lust haben. Wer gerne im Laden mit seinen Kund*innen über Bücher fachsimpelt, findet in den sozialen Netzen eine Erweiterung seines Aktionsradius. Und natürlich ist es auch für Künstlerinnen und Künstler eine Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen. Für uns als Verlag sind die Instagram-Auftritte der Illustrator*innen oft eine erste Anlaufstelle.

Gibt es aktuell neue Trends in der Buch-Branche und wenn ja, woher kommen sie und wie sehen sie aus?

Im Bilderbuch haben in den letzten Jahren erfreulich viele und spannende Sachbilderbücher Eingang gefunden. Auch biografische Themen sind inzwischen sehr präsent und vor allem Biografien von Frauen. Diversität ist ausgehend von den USA inzwischen überall ein Trend. Ja und gerade in den letzten Wochen sind Themen wie Krieg, Flucht und Frieden sehr stark nachgefragt worden. Bei uns erscheint in nächster Zeit auch ein Bilderbuch zum Thema Lügengeschichten, was man heutzutage vor allem unter dem Schlagwort Fake News kennt. Die Vielfalt an Themen, die im Bilderbuch möglich sind, finde ich sehr beeindruckend.

Bezüglich neuer Buchprojekte, die den Nerv der Zeit treffen, ist es sicherlich nicht immer einfach, innovative Illustrationsstile und Geschichten aus der Menge der Angebote herauszufischen. Wie machen Sie das – wie finden Sie immer wieder neue und spannende Projekte?

Ja, das wüsste ich selber gerne! Wichtig ist vermutlich, dass man weiß, woher man kommt und was das Programm in der Vergangenheit geprägt hat. Dieses Erbe beeinflusst auch die Suche nach neuen Talenten. Arbeiten, die offensichtlich digital gemacht wurden, haben in unserem Programm keinen Platz. Wir wären damit gegenüber den Händlern und Lesern nicht glaubwürdig. Wichtig finde ich aber auch, dass man immer neugierig und wach ist für Ungewohntes und auch mal ein Risiko eingeht. Mut und Selbstbewusstsein finde ich zu selten in unserer Branche, sowohl bei den Künstlern, als auch bei den Händlern und auch bei uns Verlegern.

Was leisten Illustrationen in Büchern im Vergleich zum Text?

Sie erzählen die Geschichte in Bildern. Texte und Bilder können Geschichten erzählen, auch jeweils unabhängig voneinander. Spannend wird es, wenn Text und Bilder gemeinsam eine Geschichte erzählen. Was erzählt was? Im Bilderbuch sind Illustrationen schlicht unverzichtbar. Sie erlauben Kindern in eine Geschichte einzutauchen, noch bevor sie den Text entziffern können.

Unsere Mitglieder haben mit extrem großem Interesse auf den Online-Mappensichtungstermin des Nord-Süd Verlags reagiert. Verständlicherweise ist die Zeit, in der Illustrator*innen ihre Arbeiten bei den Lektor*innen präsentieren können, immer recht begrenzt. Haben Sie einen Tipp, wie man diese kurze Zeit optimal nutzen kann?

Das ist ein weites Feld. Gerade haben wir in Bologna wieder live Mappenstunden abgehalten. Was für ein Glück! Schlimm fand ich jene, die mit ihrem iPad nicht zurechtkamen. Das war auch ein Problem bei den digitalen Mappenstunden mit der IO. Eine junge Künstlerin hat uns in Bologna ihre Mappe auf den Tisch geknallt, uns das ganze Gespräch über nie angesehen – aber sie hatte wunderbare Zeichnungen in ihrer Mappe. Prima! Gut finde ich, wenn man in der Mappe eine Dramaturgie erkennen kann. Meist weiß man ja schon nach zwei, drei Bildern, ob man etwas mag oder nicht. Mit den ersten Seiten muss man meine Neugierde wecken, oder besser noch, meine Erwartungen übertreffen. Was für mich auch ein wichtiges Kriterium ist: Erzählen die Bilder etwas oder sind es nur isolierte Geschicklichkeitsübungen? In Bologna haben wir erstaunlich viele digitale Illustrationen präsentiert bekommen. Auf unsere Frage, warum, kam dann oft das freimütige Eingeständnis: Weil es einfacher ist und schneller geht. Na, und?

Gibt es einen Königsweg, wie man als Illustrator*in herausfinden kann, welcher Verlag zu einem passt?

Indem man sich wirklich mit den Programmen beschäftigt. Welche Stile herrschen vor? Kauft der Verlag Lizenzen ein oder macht er Originalausgaben? Versucht er ein internationales Publikum zu erreichen oder begnügt er sich mit einem nationalen Niveau? Wenn man noch etwas genauer hinschaut, erkennt man auch, was in jüngster Zeit gemacht worden ist. Und vor allem sollte man selbstkritisch genug sein, sich zu fragen: Haben meine Arbeiten Bestand neben den Besten in diesem Programm?

Hatten Sie als Kind eigentlich ein Lieblings-Kinderbuch?

Ja, ich habe es kürzlich wiedergefunden. Es ist ein Sachbilderbuch aus den Sechzigerjahren, das Kindern die Welt erklärt. Ich habe daraus viel gelernt und die Bilder sind wie eingebrannt in meine Erinnerung. Offensichtlich habe ich aber auch ein paar Irrtümer abgespeichert. Dem Bild von einem Schriftsteller, das ich mir gemerkt habe, bin ich in meinem Beruf zum Glück nie begegnet. Jahrzehnte später habe ich meinen Irrtum erkannt.

Lieber Herwig Bitsche, wir danken Ihnen ganz herzlich für das interessante Gespräch.