Interview mit Dr. Michaela Muthig, Fachärztin für Psychosomatik

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© Dr. Michaela Muthig

Interview mit Dr. Michaela Muthig, Fachärztin für Psychosomatik

06.10.2022 | 2022 | Interview | IO-News | Rund um Illustration

Dr. Michaela Muthig, Fachärztin für Psychosomatik mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie bietet Online-Coaching und Kurse zur Verbesserung des Selbstwertgefühls an. Ihr Buch „Der kleine Saboteur in uns“ beschäftigt sich mit unbewussten Widerständen und Selbstzweifeln und wie diese zu überwinden sind.

 

Frau Dr. Muthig, in Ihrem Buch „Der kleine Saboteur in uns“ beschäftigen Sie  sich mit unbewussten Widerständen und Selbstzweifeln und geben Tipps, wie diese zu überwinden sind. Warum machen wir es uns eigentlich so schwer? (Sprich: Woher kommen die Selbstzweifel?)

Es gibt mehrere Ursachen, warum wir uns in unseren Vorhaben selbst im Weg stehen. Eine Möglichkeit ist die, dass wir unbewusst etwas ganz anderes wollen, als wir denken. Vielleicht haben wir gelernt, dass wir Karriere machen und viel arbeiten müssen, um ein gutes Leben führen zu können. In Wirklichkeit wünschen wir uns aber ein ganz anderes Leben. Kein Wunder also, wenn wir uns dann selbst sabotieren.

Ein weiterer sehr häufiger Grund ist der, dass wir uns im Grunde unseres Herzens gar nicht zutrauen, unsere Ziele zu erreichen. Weil vielleicht bestimmte Glaubenssätze noch in uns aktiv sind (z. B. “Mit einem kreativen Job kann man sowieso kein Geld verdienen” oder “Ich kann mich nicht gut verkaufen”). Dann stehen wir uns oft im Weg. Wir wollen erfolgreich sein, trauen es uns aber nicht zu. In solchen Situationen schlägt dann der kleine Saboteur besonders gern zu.

In unserer ohnehin leistungsgetriebenen Gesellschaft sind wir in der letzten Zeit zusätzlichen Krisen und hohen Belastungen wie Krieg und Krankheit ausgesetzt. Wie wirkt sich das aus, können Sie eine Entwicklung in der vorherrschenden Gemütsverfassung erkennen?

Zu beobachten ist, dass die Häufigkeit psychischer Erkrankungen (wie beispielsweise Depressionen oder Angststörungen) steigt. Zum einen mag das daran liegen, dass eine solche Erkrankung nicht mehr wie früher tabuisiert wird, sondern man offener darüber sprechen kann. Zum anderen aber sind die psychischen Belastungen höher als vorher. Gerade Social Media trägt dazu bei, dass Selbstzweifel steigen, weil dort vor allem über Erfolge berichtet und impliziert wird, dass jeder Mensch das schaffen kann. Diese Verunsicherung in uns selbst wird dann noch durch die allgemein verunsichernde Lage (Stichwort Energiekrise, Inflation, Kostenanstieg) zusätzlich befeuert. Ganz wichtig finde ich daher, dass wir uns immer wieder auf uns selbst besinnen und uns Zeiten gönnen, in denen wir uns von den  äußeren Einflüssen abschirmen.

Es gibt Menschen, die sich schlechter den Widrigkeiten anpassen und manche, die solche nahezu unbeschadet überstehen. Was macht den Unterschied aus? Und welche Bedeutung spielt Resilienz in diesem Zusammenhang?

Ja, Resilienz ist genau das Stichwort. Das ist die Fähigkeit, belastende Situationen gut zu überstehen, ohne daran zu erkranken. Resilienz besteht dabei aus mehreren Faktoren. Ein Gefühl von Kontrolle über die Situation ist dabei wichtig. Auch Selbstsicherheit: Trauen wir uns grundsätzlich zu, die Anforderungen, die jetzt nötig sind, zu erfüllen, können wir auch größere Belastungen meistern und wachsen noch dabei. Ebenso die Selbstwirksamkeit. Wenn wir erfahren, dass das, was wir tun, die Situation verbessert, gibt uns das Zuversicht und  innere Stärke, auch mit schwierigen Situationen zurechtzukommen. Optimismus, positives Denken, ein guter Umgang mit Stress und soziale Kompetenz verbessern ebenfalls die Resilienz.

Kann man sich diese Fähigkeit, also den Zustand der Resilienz gezielt antrainieren? Welche psychischen und körperlichen Voraussetzungen müssen dafür geschaffen bzw. optimiert werden?

Manche der oben genannten Faktoren lassen sich in der Tat trainieren. Zwar ist es Teil der Persönlichkeit, ob wir eher optimistische oder pessimistische Menschen sind; das positive Denken können wir aber auch durch Übung erreichen. Genauso können wir lernen, wie wir gut mit Stress umgehen. Wir können durch das Führen eines Erfolgstagebuchs Selbstsicherheit und Selbstwirksamkeit verstärken.

Neben allgemeinen Einflüssen stehen freiberuflich tätige Illustrator*innen noch besonderen Herausforderungen gegenüber wie Akquise, Umgang mit Ablehnung, unstete Auftragslage und dem Umstand, meist alleine zu arbeiten. Wie kann sich der/die Einzelne stärken, um optimal für den Berufsalltag gerüstet zu sein?

Ich würde da ganz besonders dazu raten, an einer guten Selbsteinschätzung und am Selbstvertrauen zu arbeiten. Oft sind wir zu kritisch mit uns, bewerten unsere eigene Leistung schlechter als die der anderen. Dann fällt es aber schwer, uns gut zu verkaufen. Wenn wir unseren eigenen Wert nicht sehen, wie sollen wir ihn dann anderen zeigen? Das erreichen wir, wenn wir uns nicht auf Fehler, sondern vor allem auf Erfolge konzentrieren, also uns die eigenen Stärken bewusst machen, Erfolgserlebnisse aufschreiben und diese feiern.

Sie können in dieser Kurzform sicher kein Coaching durchführen, aber haben Sie ein paar wirksame Praxistipps für uns, wie man seinen inneren Saboteur ausschaltet und das Selbstwertgefühl gezielt stabilisiert?

Das Wichtigste, um Selbstsabotage zu vermeiden: Werden Sie sich klar darüber, was Sie wirklich wollen und welcher Weg für Sie stimmig ist. Wenn Sie Wege wählen, die nicht Ihrem Naturell entsprechen, stehen Sie auf der Bremse und erzielen keine Ergebnisse. Fragen Sie sich also immer wieder “Passt das zu mir? Will ich das wirklich? Und warum will ich das?”

Das Zweite: Stärken Sie Ihren Selbstwert. Schreiben Sie täglich Ihre Erfolge auf und machen Sie sich bewusst, dass Ihre Erfolge nicht selbstverständlich sind.

Und das Dritte: Holen Sie sich Feedback, aber richtig. Viele wiegeln positives Feedback ab mit dem Gedanken “Ob sie das wirklich so meint?” oder “Naja, so toll war das doch gar nicht”. Negatives Feedback wird dagegen viel ernster genommen und noch lange im Kopf gewälzt. Dadurch aber verstärken Sie Selbstzweifel. Schreiben Sie sich stattdessen positives Feedback auf, um es nicht zu vergessen. Und glauben Sie den Menschen einfach, wenn die Sie gut finden. Das sagen die nicht einfach nur, um nett zu sein. In der Regel meinen sie das auch genauso!

Wir danken ganz herzlich für das interessante Gespräch.