Abschied von Wolf Erlbruch – ein Nachruf von Thilo Krapp

Abschied von Wolf Erlbruch – ein Nachruf von Thilo Krapp

14.12.2022 | 2022 | IO-News | Personen und Meinungen | Rund um Illustration

In Trauer und Anteilnahme für die Hinterbliebenen nehmen wir Abschied von Wolf Erlbruch, mehrfach ausgezeichneter Illustrator und Professor für Illustration, der am 11. Dezember 2022 im Alter von 74 Jahren verstorben ist. IO-Vorstandsmitglied Thilo Krapp hat einen persönlichen Nachruf für ihn verfasst, den wir gerne mit euch teilen wollen:

“Als ich zu Wolf Erlbruch in die Illustrationsklasse kam, war er bereits berühmt geworden durch die Geschichte „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“. Ein paar Szenen aus dem Studium bei ihm sind mir im Gedächtnis geblieben: Einmal fand ich auf dem (immer ergiebigen) Wuppertaler Sperrmüll einen Schädel, den ich für den eines Pferdes hielt, dem die Schneidezähne fehlten.

Zu Anatomie konnte man Wolf Erlbruch überhaupt alles fragen, und so brachte ich den Schädel eines Tages mit in die Klasse und er stellte sich als Schädel eines Esels heraus. Was Wolf Erlbruch jedoch nicht losließ, waren die fehlenden Schneidezähne. Mit Ton und Brennofen in der Hochschule formte er diese nach, eine geradezu wissenschaftliche Arbeit, und doch gleichzeitig die eines Künstlers, weil man dadurch das anatomische Verständnis weiter schult. Er ließ nicht locker, bis die nachgebildeten Zähne – gebrannt und glasiert, sodass sie wie echte Zähne wirkten – nebeneinander im Kiefer des Schädels steckten und ihn so komplettierten.

Dabei sagte er an einer Stelle: „Das liebe ich ja so an diesem Job: dass man all diese Dinge ausprobieren kann.“
Er meinte damit – das lag in der Luft – die Möglichkeiten im Beruf des Illustrators an sich und gleichzeitig im weitesten Sinne alles Wichtige an einem künstlerischen oder kunsthandwerklichen Beruf. Es waren diese Aussagen über eine Ganzheitlichkeit des Anspruchs, die das Studium bei ihm für mich so lohnenswert machten – ließen sie doch durchblicken, dass man sich für alles interessieren und begeistern darf, was dieser Beruf mit sich bringt, nicht nur das Zeichnen, sondern dass man auch alle anderen Aspekte daran ernst nehmen sollte, die nicht unmittelbar mit dem Zeichnen zu tun hatten. Ein anderes Mal hörte ich ihn zu einer Kommilitonin sagen: „Eigentlich musst du, was das Zeichnen und diesen Beruf angeht, permanent wachsam sein.“

Ein weiterer Satz ist mir im Gedächtnis geblieben. Einmal hatte ich vom Zeichnen und Sitzen eine Verspannung im Rücken, die sich gewaschen hatte. Ich rief ihn an, weil ich fürchtete, eine bestimmte Aufgabe, die wir im Kurs bearbeiteten, nicht fertig zu bekommen. Er sagte mir: „Naja, gut – aber du musst bedenken, dass es später in deinem Leben immer wieder mal Situationen geben wird, in denen du trotzdem etwas abliefern musst. Und wenn du zwischen deinen noch nicht ausgepackten Umzugskartons sitzt.“

Tatsächlich öffnete mir das die Augen über die Endlichkeit des Aspekts Work-Life-Balance: Nicht immer ist sie genauso zu erreichen, wie man es sich wünscht oder wie man es für sich für am besten hält. Manchmal muss eine Sache auch einfach fertig werden und man muss, wie er an einer anderen Stelle einmal sagte, „einfach in den Druck hinein arbeiten“. Ich holte mir zum bisher ersten und einzigen Mal in meinem Leben beim Arzt eine Spritze und konnte das Projekt zu Ende bringen.

Es waren solche klugen Sätze an den richtigen, entscheidenden Stellen, die mir sehr viel weiterhalfen – auch später, darüber hinaus. Ohne neben ihm sitzen zu können und die schiere Begeisterung für das Zeichnen und diesen Beruf hautnah mitzubekommen hätte ich viele Herausforderungen des Illustratorenberufs nicht meistern können. Von den zum Teil bedeutenden Hilfestellungen im Leben an sich, die er mir gab, möchte ich erst gar nicht anfangen.

Natürlich hatte das zur Folge, dass ich geradezu abhängig wurde von seinen klugen Sätzen. Als ich nach dem Studium nach Berlin ging, schrieben wir uns noch ein eine Weile Briefe. Ich sagte, dass ich die Zeit bei ihm vermissen würde und er sagte nur: „Ach, warte noch ein bisschen, dann vermisst du mich nicht mehr.“

Er sah klug voraus, dass ich mich irgendwann lösen und ein eigenständiger Illustrator werden würde. Und dennoch – jetzt gerade, lieber Wolf, vermisse ich dich so sehr! Ich glaube und hoffe, wir haben uns beide Freude gemacht, was das Wichtigste im Leben ist.
Du wirst mir und der Illustratorenwelt sehr fehlen.“

Thilo

 

Beitragsbild: Buchcover-Illustration von Wolf Erlbruch (mit freundlicher Genehmigung des Peter Hammer Verlags)