Illustration bildet Meinung

i
Christian Schlierkamp

Illustration bildet Meinung

21.02.2023 | 2022 | IO und Partner | IO-News | Rund um Illustration

„Illustration funktioniert nur durch Rezeption“ – mit diesen Worten eröffnet Andreas Platthaus die Podiumsrunde ILLUSTRATION BILDET MEINUNG und damit eine spannende, interdisziplinär geführte Diskussion, inwieweit Illustration die Meinung Einzelner formen kann. Und darüber, wie es in diesem Fall mit der Verantwortung für die visuelle Darstellung von politischen Stimmungen, zeitgenössischem Geschehen und wissenschaftlichen Erkenntnissen aussieht. Sehen Sie selbst!

Demokratie gestalten hieß der Themenabend der Creative Week, zu dem die Illustratoren Organisation als Partnerverband des CLUK geladen hatte – und mit einer provokanten Frage an den Start ging: Bildet Illustration Meinung? Kann eine visuelle Darstellung die Betrachter*innen sogar manipulieren? 90 Minuten diskutierten illustre Mitglieder aus den Reihen der IO unter der Moderation von FAZ-Redakteur Andreas Platthaus, wie durch ihre Illustrationen Wissen, Wahrnehmung und Meinung in der Öffentlichkeit geprägt wird. Dabei gaben die Kolleg*innen tiefe Einblicke in den Arbeitsablauf und über den Anspruch ihrer jeweiligen Einsatzbereiche:

Lennart Gäbel: Editorial
Jonas Lauströer und Jochen Stuhrmann: Wissenschaftliche Illustration
Jennifer Daniel: Graphic Novel
Begleitendes Graphic Recording zur Diskussion: Christian Schlierkamp

So interessant die Gäste, so spannend waren auch die Fragen aus dem Publikum: Können politische Illustrationen zur Meinungsänderung führen? Lennart Gäbel (u.a. bekannt durch den Spiegeltitel „Endzeit“, Deutschlands Cover des Jahres 2018) bezweifelt das: „Redaktionelle Illustration kann provozieren, Inhalte unter ein Brennglas stellen, unterhalten und kommentieren. Aber eine gefestigte Meinung lässt sich selbst mit Fakten nur schwer ändern.“

Dass Illustration aber an der Meinungsbildung Anteil hat, scheint unbestritten – nicht nur im journalistischen, auch im akademischen Einsatzgebiet. Jonas Lauströer, Dozent der Informativen Illustration an der HAW Hamburg und 3D-Visualisierung an der ZHdK, fasst zusammen: „Eine Aufgabe in der wissenschaftlichen Illustration ist es, Denkmodelle zu visualisieren, die sich textlich und tabellarisch nicht darstellen lassen.“ Wie zum Beispiel waren Urzeittiere gebaut, von denen wir nur einzelne Knochen haben? Wie bewegten sie sich? So hat jeder von uns eine etwas andere Vorstellung vom legendären T-Rex vor Augen – je nachdem, welches Bild uns in den Kopf gezeichnet wurde. In der Visualisierung des nicht bildhaft Dokumentierten gibt es nicht nur die eine Wahrheit, sondern eine Vielzahl von gleichwertigen Alternativen.

Diese herauszufinden, sieht auch Jochen Stuhrmann als große Herausforderung. In seiner Arbeit als wissenschaftlicher Illustrator ist dabei die enge Zusammenarbeit mit Redaktion und Wissenschaft maßgeblich. Im Ping-Pong-Verfahren werden glaubhafte Thesen aufgestellt, geprüft, korrigiert und ausgearbeitet. Die visuelle Darstellung ist dabei ein wichtiger Filter: „Oft lässt sich erst im Bild erkennen, warum eine bestimmte Annahme nicht funktionieren kann. Der Skizziervorgang ist daher Teil der Recherche, aus dem sich immer neue Fragen ergeben.“

Diese enge Nähe zu Fakten braucht es in der Gattung Comic nicht. Jennifer Daniel, Autorin der Graphic Novel „Das Gutachten“, sieht es so: „Wichtiger als Faktentreue war mir, das Zeitgefühl der 70er Jahre authentisch wiederzugeben. Die korrekte Darstellung von Autos und Gegenständen ist nicht entscheidend, sondern das Gefühl, die Farbigkeit, das politische Miteinander der Ära spürbar zu machen.“ Zeitgeschichte wird greifbar, eine Meinung dazu bildet sich.

Wie es mit der Verantwortung angesichts eines solch gewaltigen Einflusses durch das Medium Bild aussieht, soll hier noch nicht gespoilert werden. Das begleitende Graphic Recording von Christian Schlierkamp, als auch unser Zusammenschnitt der Diskussion werden ein ausführliches Bild davon vermitteln. So viel sei aber schon verraten: Die Erkenntnis, dass Illustration sehr viel mehr ist als eine visuelle Übersetzung, sondern im Gegenteil entscheidend zu Meinungsbildung und Erkenntnisgewinn beitragen kann. Oder, um Andreas Platthaus zu zitieren: „Illustration ist ein demokratischer Prozess mit Sender-Empfänger-Dynamik. Es macht Angebote für Verständnis – und funktioniert daher nur durch Rezeption.“

Stefanie Weiffenbach
Geschäftsführerin der Illustratoren Organisation e.V.