Interview mit Carolin Reich zu Selfpublishing im Comic-Bereich

Interview mit Carolin Reich zu Selfpublishing im Comic-Bereich

25.01.2023 | 2022 | Interview | IO-News | Rund um Illustration

Carolin Reich schreibt, zeichnet und verlegt die Comics, die sie als Teen gerne selber gelesen hätte. Das heißt vorwiegend Abenteuer-Geschichten mit weiblichen, meist wütenden Hauptfiguren. Außerdem erstellt sie Illustrationen und Designs für Buchcover, Magazine, Sympathiefiguren und alles was noch so anfällt und Spaß macht. IO-Vorstandsmitglied Thilo Krapp hat mit ihr über Selfpublishing gesprochen.

Wann ist es sinnvoll, ein Buch selbst zu vertreiben? Warum hast du dich gerade bei deiner Arbeit für diesen Weg entschieden?

Ich glaube, ob es sinnvoll ist, ein Buch selber zu vertreiben, ist vor allem eine Typfrage. 

Der klassische Weg über einen Verlag bringt (im besten Fall) redaktionelle Betreuung, Vorfinanzierung, Marketing für Buch und Künstler*in und bei Erfolg auch finanzielle Kompensation über das Garantiehonorar hinaus. Dazu hat man keinen Stress mit Druck, Logistik und Vertrieb und kann sich ganz auf sein Werk konzentrieren. Das ist schon gut.

Persönlich habe ich diese Art der Zusammenarbeit aber als insgesamt eher unbefriedigend empfunden. Vor allem in den Punkten Marketing und finanzielle Kompensation. 
Ich kann nur für den Comicbereich sprechen und habe keine Einblicke, wie das für Kinderbücher, Prosaliteratur o. Ä. aussieht – und natürlich ist das auch Verhandlungssache –, aber die gezahlten Honorare entsprechen meiner Meinung nach nicht ansatzweise dem Arbeitsaufwand, den man selber mit dem Werk hat.

Zudem habe ich das Gefühl, dass von Autor*innen heute meist erwartet wird, ihr Werk nicht nur zu erstellen, sondern es nebenher auch noch auf Social Media und anderen Kanälen zu bewerben – ohne, dass es dafür eine entsprechende finanzielle Kompensation gibt.

Ich schätze zwar die Zusammenarbeit mit einer Redaktion sehr, aber insgesamt habe ich gerne die volle Kontrolle über alle Aspekte meiner Tätigkeit, auch über die kreative Arbeit hinaus. Es macht mir Spaß, Tabellen anzulegen, um Druckereien zu vergleichen. Mir Releasekampagnen zu überlegen oder auch mal einen Tag Recherche damit zu verbringen, ob ich die Einpacktütchen nicht doch noch irgendwo einen Cent günstiger bekomme. (Wirtschaftlich ist das sicher nicht, aber es fühlte sich sehr befriedigend an.) Wenn ich mich schon ausbeute, will ich wenigstens alles vom Kuchen haben. Sollte sich ein Verlag für einen Titel nachträglich interessieren, z. B. für Auslandslizenzen, kann man ja immer noch reden.

Und auch finanziell gesehen lohnt sich Selfpublishing für mich auf lange Sicht gesehen mehr.
Mein Debüt-Comic „Königin der Nacht” war ursprünglich eine Verlagsveröffentlichung. Das Label wurde aber kurz nach Release eingestellt und die Bücher vernichtet. Passiert. 

Ich habe den Comic, nachdem ich die Rechte zurückgefordert hatte, dann auf eigene Kosten drucken lassen. Er war ja fertig… und im Eigenvertrieb überraschend erfolgreich. Zu dem Zeitpunkt kannte mich noch niemand. Nach Abzug aller Kosten (Druck, Messe/Reisekosten) kam ich netto ziemlich genau auf dasselbe hinaus, was mir ursprünglich als Honorar gezahlt wurde. Auf dem Weg natürlich nochmal deutlich zeitintensiver, für mich aber viel befriedigender. Den Comic gibt es heute nicht mehr, aber mich sprechen noch immer Personen darauf an, fragen nach einer Fortsetzung und interessieren sich dann auch für meine neuen Sachen. 

Jedes einzeln veröffentlichte Comic, Artbook, Zine und jeder Kunstdruck für sich gesehen bringt bei der Veröffentlichung nicht das, was ein Verlag zahlen würde. Aber durch das Zusammenspiel aller Titel/Produkte, die stetig ergänzt werden, macht man insgesamt vielleicht sogar einen besseren Schnitt.

Ich denke, damit sich Selfpublishing lohnt, braucht es vor allem einen langen Atem und gleichbleibende/steigende Qualität in den Veröffentlichungen. Außerdem reicht es nicht, ‚nur‘ Bücher zu machen. Das visuelle Drumrum (Illustrationen, um erst mal Interesse zu generieren, kleines Mitnehm-Merchandise, Werbeartikel, Social-Media-Präsenz) ist genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger.

Welche unterschiedlichen Arten des Selfpublishing gibt es?

Ich kenne:
E-Books: eigener Shop und diverse Plattformen. Z. B. Amazon, Gumroad, itch.io. Etsy hat sicher auch Bücher.

Webcomics: diverse Plattformen und/oder eigene Websites. Die sind in der Regel free to read. Vielleicht durch einen Patreon/Merchverkäufe/Adsales gestützt/finanziert, teilweise auch direkt hinter einer Paywall. Wenn es einen Printrelease gibt, kommt der meistens später, finanziert über einen Kickstarter o. Ä.

Print on Demand: Bücher werden nur gedruckt, wenn jemand sie bestellt. Anbieter dafür sind z. B. Amazon oder BoD. Hab ich nie gemacht und die Qualität der Bücher ist wohl eher eingeschränkt. Vielleicht aber eine Option, um erst mal Interesse auszukundschaften.

Und natürlich selber drucken über eine selbst gewählte Druckerei. Finanzierung über Crowdfunding, Kickstarter oder Vorbestellungen.
Der Vertrieb findet dann über den eigenen Shop und andere Anbieter statt. Für Comics im deutschen Raum Kwimbi oder der Verlag Schwarzer Turm. In meinem Fall viele Direktverkäufe auf Veranstaltungen (z. B. Leipziger Buchmesse, Comicsalon Erlangen, Dokomi.)

Der Vertriebsweg über den Buchhandel ist eher schwierig.Kleinere, inhabergeführte Läden kann man direkt fragen, ob sie die Bücher vielleicht mit ins Schaufenster nehmen wollen. Größere Ketten beziehen ihre Bücher aber über einen Vertrieb, bei dem sie auch direkt bestellen. Mit dem braucht man dann einen entsprechenden Vertrag. Die geforderten Druckauflagen und die abzugebenden Prozente haben sich für mich aber nicht gerechnet, weswegen ich diesen Weg vorerst nicht weiter verfolge.

Wie läuft die Bewerbung des so entstandenen Produkts ab? Muss man dafür mehrere Wege zugleich gehen oder reicht ein bestimmter? Welchen findest du am praktischsten für dich?

Ich glaube, kein*e Selfpublisher*in kommt um Social Media herum. Welche dabei aber die lohnendste Plattform ist, muss jede*r für sich selbst herausfinden.
Mein Erstkontakt mit Neuleser*innen ist meistens direkt auf den Messen. Ich spreche gezielt Personen an, die kurz mit den Augen an meinem Standaufbau hängen bleiben und ermutige sie, doch einmal in meine Bücher hineinzuschauen.
Meine Tischbauten sind entsprechend catchy und ich versuche immer wieder zu optimieren.
Die Bücher sind natürlich auch wichtig und möglichst präsent in der Mitte, aber insgesamt muss es ein gutes Zusammenspiel aus Mood-Illustrationen, Büchern und Begleitmerchandise sein. Aufrecht stehen und lächeln hilft auch ungemein.

Man merkt meistens sehr schnell, ob Interesse an Comics generell besteht, dann kann man noch ein bisschen mehr erzählen. Dann ist es eher eine Frage von gefällt oder gefällt nicht. Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm – dann wird oft noch eine Postkarte oder Ähnliches mitgenommen. Oder auch nur Visitenkarten, auf denen meine Website, der Webshop und meine Social-Media-Kanäle vermerkt sind.
Leute, die einen Comic kaufen, bekommen außerdem direkt den Flyer zu meinem E-Mail-Newsletter in die Hand gedrückt – dieser hat sich vor allem für Neuveröffentlichungen als sehr wichtig für mich herausgestellt.

Neben meiner eigenen Website, auf der sich mein Online-Shop befindet, pflege ich noch Twitter und Instagram. Instagram ist bei mir vor allem eine gepflegte Art-Gallery für Personen, die sich gerne etwas anschauen wollen. Twitter ist der Ort, auf dem ich ganzjährig kommuniziere. Das ist relativ wild. Mit fertigen Illustrationen, Links zu Dingen, die mich interessieren, Skizzen, öffentlichen Unterhaltungen und dazwischen auch immer mal einem “Hey, da ist was Neues im Shop“, “Patreon hat geupdatet” oder “Band XY dauert noch, aber ich bin dran.” Twitter ist für mich der wichtigste Kanal, um präsent zu bleiben.
Die aktuellen Entwicklungen beunruhigen mich deswegen sehr. Ich weiß noch nicht, wie ich es auffangen soll, wenn diese Plattform wirklich komplett wegfällt. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich da auch wieder etwas finden wird.

Außerdem gibt es meine Bücher teilweise auch als Webcomic auf Deutsch, Englisch und Französisch. Da kann man schon mal reinlesen und bei Gefallen bzw. wenn man nicht warten will die Bücher kaufen oder meinem Patreon beitreten. Die Webversion kommt zeitlich nach der gedruckten Version.

Wie hoch ist der jeweilige Aufwand?

Hoch. Ich kann das gar nicht genau sagen. Wie bei allen selbständigen Tätigkeiten. Ich zeichne relativ wenig und stecke viel Energie und Zeit in die Verwaltung. Dabei bin ich auch sehr strikt mit meiner eigenen Zeiteinteilung und plane weit im Voraus, wann ich etwas veröffentliche.

Ich höre oft, dass das ja ganz schön anstrengend sein muss, dass ich auch noch auf so viele Messen fahre. Die empfinde ich aber tatsächlich als eher entspannend, weil es eine klare Sache ist, die man vor sich hat und alle Arbeit dafür ja bereits erledigt ist.

Braucht man fürs Selfpublishing besondere technische Kenntnisse?

Jein.

Ich denke es hilft durchaus, wenn man weiß, wie man Dateien druckfertig bekommt, damit es später keine bösen Überraschungen gibt.
Und ein bisschen Grundkenntnisse in Webdevelopment schaden sicher auch nicht, wenn man sich eine eigene Website bauen möchte – aber dafür gibts auch entsprechende Anbieter und/oder Personen, die man dafür bezahlen kann 🙂

Alles, was man wirklich braucht, kann man unterwegs lernen.

Wir danken ganz herzlich für das interessante Gespräch.